brat summer, coconut tree, Democratic National Congress - die Nachrichten rund um den US-Wahlkampf haben unsere Sommerlektüren gefüllt.
YPCClerin Marlies Murray war beim DNC live vor Ort und unterstützt aktuell als Volunteer das Kommunikationsteam der Demokraten im Senatswahlkampf im Swing-State Arizona. In diesem Interview gibt sie uns einen Blick hinter die Kulissen, wie so ein Wahlkampf in den USA on the ground geführt wird.
Luisa: Die Stimmung auf dem Parteitag war großartig, wie sieht das in Arizona aus, wo du dich gerade befindest?
Marlies: Hier in Arizona wird deutlich, dass es weiterhin ein Wahlkampf ist: An den Straßenrändern reihen sich politische Schilder Rücken and Rücken und auf den Autobahnen werben die Billboards abwechselnd für KandidatInnen.
Der Parteitag hat den Enthusiasmus vor allem derer widergespiegelt, die sowieso schon dem demokratischen Lager nahe standen. Mit Kamala Harris haben sie nun wieder Hoffnung geschöpft, dass es im November tatsächlich eine Chance auf Erfolg geben könnte.
In einem Swing State wie Arizona zeichnet sich ab, dass es sich weiterhin um ein kompetitives Rennen handelt – sowohl für das präsidentielle ‘top of the ballot’- Rennen als auch für das ‘down-the-ballot’-Rennen. Noch ist nichts gewonnen und es wird wahrscheinlich sehr knapp.
Luisa: Auf dem DNC warst du auch unterwegs und hast viele spannende Reden gesehen. Was können wir uns davon in Deutschland für unsere politischen Reden abschauen?
Marlies: Strategisch schlau und eine Sache, die ich an der amerikanischen Kultur sehr schätze, ist ihre Fähigkeit, kulturelle (und virale) Phänomene in der politischen Sphäre gekonnt für sich zu nutzen. Das bekannteste Beispiel, das auch in Reden auf dem DNC nicht fehlen durfte, sind kreative Referenzen zu Liedtexten von Taylor Swift.
Swifts Fanbase setzt sich zu circa 55 % aus Demokraten, aber auch aus Republikanern und Independents zu jeweils 23 % zusammen. 53 % aller erwachsenen AmerikanerInnen geben an, “Swiftie” zu sein (Quelle).
Amerikanische PolitikerInnen verstehen es, das Momentum kultureller Phänomene, die erstmal unpolitisch wirken oder auch sein können, für sich zu nutzen. Sie bieten der Bevölkerung Anknüpfungspunkte; man erkennt Gemeinsamkeiten in ihnen wieder; sie erscheinen viel menschlicher und nahbarer als sie es jemals hinter ihrem Schreibtisch im Abgeordnetenhaus sein könnten. Dies spricht große Teile der Bevölkerung an und mobilisiert vor allem junge, potenzielle Wähler, die in den sozialen Medien unterwegs sind.
Generell steckt auch viel Potenzial darin, berührende Geschichten derer zu erzählen, die in der Öffentlichkeit viel Anerkennung erhalten: VeteranInnen, Menschen wie die Familienmitglieder der entführten Opfer des 7. Oktobers, Menschen, die Verluste durch restriktive Abtreibungsverbote erlitten haben, etc.
Luisa: Aktuell unterstützt du den Senatswahlkampf in Arizona als Volunteer. Wie baut sich ein Wahlkampfteam in den USA denn auf?
Marlies: Wahlkampfteams hier sind alterstechnisch sehr jung. Die Arbeitstage sind in der Regel lang und in der heißen Phase des Rennens wird auch das Wochenende durchgearbeitet. Vor allem auch, um an Türen registrierter WählerInnen zu klopfen, um diese an die Wahl zu erinnern. Unter anderem sind auch sehr viele Freiwillige involviert, weil eben so viel auf dem Spiel steht.
Luisa: Welche Strategien fahren Demokraten und Republikaner aktuell in Swing States wie Arizona, um Stimmen zu gewinnen?
Marlies: Auf beiden Seiten werden emotionale Geschichten geteilt, vor allem bezüglich polarisierender Themen. Bei dem Thema Abtreibung beispielsweise versuchen Republikaner Sympathie bei Wählenden zu gewinnen, indem sie davon reden, wie sehr sie ihre Kinder lieben. Demokraten hingegen lassen die Opfer von Vergewaltigung und Inzest ihre Erfahrungen teilen, sowie Frauen, die lebensbedrohliche Schwierigkeiten in ihren Schwangerschaften erlebt haben.
Zudem spielt “negative campaigning”, also die strategische Verbreitung negativer Informationen über die Gegenkandidaten, eine zentrale Rolle. Bei den Demokraten geht es vor allem darum, die radikalen Ansichten und Lügen ihrer Oppositionellen immer wieder zu betonen. Die Republikaner diskreditieren negative Informationen durch “fake news” der Medien und arbeiten gerne mit ‘fear-mongering’ – Angstmacherei - vor allem bei den Themen Einwanderung und Sicherheit. Selbstverständlich sind auch persönliche Skandale des jeweiligen Gegenkandidaten im Fokus von politischen Werbespots. Generell betonen beide Lager immer wieder die Erfolge ihrer jeweilig letzten Administrationen.
Luisa: Mit welchen Strategien werden unentschlossene Wähler abgeholt? Stehen bestimmte Kommunikationskanäle im Fokus, um diese zu erreichen?
Marlies: TV-Werbespots sind wichtig, aber auch konstantes Social Media: proaktiv, reaktiv, und regelmäßig. Einerseits durch einfallsreiche Formate, aber auch mit viel Emotionalität.
Zudem wird bei registrierten WählerInnen an der Tür geklopft, um sie an die Option der Briefwahl zu erinnern, oder anzubieten, sie am Tag der Wahl zu dem nächsten Wahllokal zu fahren. Die Erinnerung findet auch telefonisch statt (meist mithilfe von Freiwilligen).
Auch die öffentliche politische Unterstützung durch bestimmte (Berufs-)Gruppen, die in den USA viel Anerkennung genießen, sind bedeutsam: Dies sind unter anderem Feuerwehrleute, PolizistInnen, VeteranInnen, und Gewerkschaften.
Luisa: Welche innovativen Mobilisierungsansätze kannst du beobachten, die wir uns abschauen könnten?
Marlies: Die Wahlkampfkultur in den USA ist fundamental anders als in Deutschland. Generell finde ich es sehr einfallsreich, mehr (Social Media-) Trends mitzumachen und sich als PolitikerIn - trotzt höchster Professionalität - nicht zu Ernst zu nehmen. Wenn US-Gouverneure zu Beyonce-Songs witzige und informative politische Reels veröffentlichen können oder kulturelle Referenzen in ihre Reden einbauen, um bei WählerInnen Sympathiepunkte zu sammeln, können das MdBs auch.
Luisa: Wir sehen es mit dem Brat Summer bei den Demokraten. Inwiefern versuchen auch die Republikaner aktuell die Popkultur für ihren Wahlkampf zu instrumentalisieren?
Marlies: Derzeit tatsächlich eher kaum. Es wird viel damit gearbeitet, Harris und andere Demokraten mit ihren eigenen Worten zu diskreditieren, u.a. durch Zusammenschnitte, bei denen widersprüchliche Aussagen der gleichen Person nebeneinander abgespielt werden.
Zudem versuchen die Republikaner die Stimmen konservativer Menschen, die in den USA zu Minderheitsgruppen gehören und damit traditionell eher für die Demokraten wählen, zu amplifizieren.
Luisa: Vielen Dank für das Gespräch und die spannenden Einblicke!
Marlies: Sehr gerne.
Foto: Element5Digital | Unsplash
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